Das Schriftgut der Zuschauerforschung bildet im DRA Babelsberg innerhalb der Gesamtüberlieferung des Schriftguts des Deutschen Fernsehfunks/Fernsehens der DDR einen in sich geschlossenen Bestand.
Der Bestand enthält Analysen der Meinung der Zuschauer zum Programm des DDR-Fernsehens, die vor allem durch wöchentliche, repräsentative Zuschauerbefragungen ermittelt wurden. Die Zuschauerforschung wertete neben der Sehbeteiligung und der Bewertung von Sendungen, die Zuschauerpost, die Ergebnisse von Zuschauerforen sowie die Fernsehkritiken aus. Die Ergebnisse wurden für die Leitung des DDR-Fernsehens, teilweise mit Hilfe der EDV, aufbereitet und für alle programmpolitischen Entscheidungen herangezogen. Die aktuellen Ergebnisse wurden wöchentlich im Staatlichen Komitee für Fernsehen beraten.
Neben der Abteilung Zuschauerforschung (ab 1964) gehören auch deren „Vorläufer“ zum Bestand: Referat Fernsehstuben, Abteilung Wirkungsforschung und Abteilung Außenverbindung. Nach 1990 finden sich Unterlagen und Auswertungen von Infas (Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH) und der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Bestand.
Die Onlinestellung der Ausarbeitungen und Analysen der Zuschauerforschung des DDR-Fernsehens von 1955 bis 1990/91 ermöglichen nun den digitalen Zugriff unmittelbar auf das einzelne Dokument.
Zur schnellen Recherche nach Sehbeteiligung und Bewertung einzelner Sendungen steht darüber hinaus für die Jahre von 1965 bis 1990 eine „Sehbeteiligungskartei“ zur Verfügung, die für den internen Gebrauch gedacht war. So sind deshalb beispielsweise die Titel der Sendungen teilweise sehr verknappt wiedergegeben. Auch sind die Werte für Sendungen von 1965 bis 1967 nicht mit den ab 1968 ermittelten Zahlen vergleichbar.
Die Sehbeteiligung wurde nach dem so genannten Zufallsverfahren ermittelt. Das Gebiet der DDR wurde zunächst in Territorien unterteilt, innerhalb dieser Territorien erfolgte die Unterteilung in Städte und Landgebiete. 15 Städte und 14 Landgebiete wurden ausgelost, die Post lieferte die Adressen von allen dort angemeldeten Fernsehteilnehmern. Von diesen wurden, wiederum per Zufall, etwa 600 Haushalte gezogen. Jede Woche wurden auf diese Weise neue Adressen ermittelt. Nebenberufliche Befrager suchten die Einwohner auf. Diese Befragungen waren auf freiwilliger Basis, strengste Anonymität sowie Vertraulichkeit wurden zugesichert.
Die Zuschauer bekamen zunächst eine Programmübersicht mit den wesentlichsten Sendungen der letzten Woche vorgelegt, von der sie die Beiträge nennen sollten, die sie gesehen hatten. Aus diesen Angaben wurde später die Sehbeteiligung errechnet. Mit einer fünfstufigen Bewertungsskala wurde der Gefallensgrad erfragt.
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Wer waren die Befrager? |
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Befrager wurden in der Regel mit Unterstützung der zuständigen Kreisleitung der SED geworben und ausgewählt. Jeder Befrager wurde vor seinem ersten Einsatz mit seiner Aufgabe vertraut gemacht und getestet. Die Anforderungen an die Befrager richteten sich an ihre staatsbürgerliche Grundhaltung, Kontaktfähigkeit, ihr Einfühlungsvermögen und Auftreten sowie an gewissenhafte und exakte Arbeit. Sie wurden intern geschult und regelmäßig auf Fehler aufmerksam gemacht. Seit 1982 wurde den Befragern die Möglichkeit geboten, eine Unterhaltungsveranstaltung des Fernsehens zu besuchen. Um etwa 1000 Zuschauer zu befragen, wurden zu jeder Umfrage etwa 200 Befrager eingesetzt. |
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Wie entstand der Fragebogen?
Für jede Umfrage (je Woche) wurde ein neuer Fragebogen erstellt, der in seinem Grundaufbau festgelegt war und standardisierte Teile enthielt. Bestandteile waren: Sendungsteil (Sehbeteiligung und Bewertung), Zusatzfragenteil (gerichtet an die Seher, teilweise auch an die Nichtseher einzelner Sendungen; Fragen nach dem Informations-, Neuigkeits-, Interessantheits- und Unterhaltsamkeitswert, Einstellungen zum Fernsehen insgesamt, Fernsehgewohnheiten etc. ) und statistischer Teil (Angaben zur Struktur und Größe der Fernsehhaushalte und Fernsehempfangsbedingungen sowie Personenmerkmale). Als Anlage gehörte ein Fernsehprogramm dazu sowie fallweise Bögen mit Antwortmöglichkeiten und Bildtafeln.
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Wie wurden die Fragen ausgewertet?
Der Befrager hatte den Fragebogen nach Abschluss zu kontrollieren, die Antworten auf Markierungsbelege zu übertragen und alle Materialien am Tage nach der Befragung an die Zuschauerforschung zurückzusenden. Dort wurden fehlende Eintragungen korrigiert und die Markierungsbelege mittels Markierungsleser auf Kassettenmagnetband übertragen. Die Weiterverarbeitung erfolgte im Rechenzentrum des Kombinats Schienenfahrzeugbau, so dass die Ergebnisse am 8. Tag vorlagen. Die Umfrageergebnisse wurden nach Eingang in den Wochenbericht verarbeitet und interpretiert. Im Anhang gab es Tabellen zur Sehbeteiligung und Bewertung.
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Die Zahlen der Zuschauerforschung waren nur ein Anhaltpunkt für die Bewertung des Programms. Sie konnten als Hilfsmittel bei der Beurteilung von Sendungen herangezogen werden und wurden bei Bedarf durch „andere Quellen der gesellschaftlichen Resonanz“ ergänzt oder ersetzt. Bei der Erarbeitung der Berichte und Analysen wurde denn auch viel Energie dafür investiert, die Zahlen im „von oben“ gewünschten Sinne auszudeuten. Die Wochenberichte mit den Tabellen zur Sehbeteiligung und Bewertung erhielten ca. 30 Fernsehmitarbeiter (Mitglieder des Staatlichen Komitees, Bereichsleiter, Chefredakteure) als „Vertrauliche Verschlusssache“(VD). In der Regel wussten nicht einmal die Fernsehmacher selbst, wie ihre Sendungen beim Publikum ankamen.
Literaturhinweise
Christa Braumann, Fernsehforschung zwischen Parteilichkeit und Objektivität. Zur Zuschauerforschung in der ehemaligen DDR, in: Rundfunk und Fernsehen, 42. Jg., 1994, H. 4, S. 524-541.
Ralph Kotsch, Die Sehbeteiligung ist nicht der alleinige Maßstab für Qualität. Gespräch mit Rolf Stockheim, in: Neues Deutschland Nr. 290 v. 9./10.12.1989, S. 4.
Thomas Lietz, Fernsehnutzung in der DDR als kommunikationshistorisches Problem. Methodologie und Quellen, in: Medien & Zeit 2/2005, S. 30-43.
Michael Meyen: Einschalten, Umschalten, Ausschalten? Das Fernsehen im DDR-Alltag, in: Materialien � Analysen � Zusammenhänge (MAZ), Leipzig 2003.
Christa Oehme: Die Zuschauerforschung als ein Instrument der Leitung, Programm- und Sendegestaltung des Fernsehens der DDR � ihre Möglichkeiten und Grenzen � dargestellt an empirischen Forschungsergebnissen, Diss. 1978 Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED.
Christa Seifert, Begehrte Zahlen. Der Beginn der Zuschauerforschung im Deutschen Fernsehfunk, in: Unsere Medien, unsere Republik 2, 1993, Nr. 4, S. 25-27.
Zu Beginn des Jahres 2006 wurde der gesamte Bestand der Zuschauerforschung für die Nutzung digitalisiert: insgesamt 181 AE mit 55.028 Blatt; gespeichert in Graustufen als PDF und TIFF; über OCR recherchierbar; aus Gründen der Bestandserhaltung wurde der Bestand zudem auf Mikrofilm gesichert.
Materialien, die authentische Einblicke in individuelles Rezeptionsverhalten von Fernsehteilnehmern bieten könnten, sind für den Zeitraum von 1952 bis 1955 so gut wie keine vorhanden. Vereinzelte Zuschauerbriefe reichen zwar zurück bis in das Jahr 1954, befassen sich aber in erster Linie mit Einzelsendungen vorwiegend aus dem dramatischen Genre. Sporadisch finden sich Zuschriften von Zuschauern auch in der Programmzeitschrift abgedruckt. Die soziologische Zuschauerforschung wurde beim DDR-Fernsehen erst seit Mitte der sechziger Jahre betrieben. Doch es gab Vorläufer:
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1955/56 Einrichtung des Referats Fernsehstuben mit Berichten zum Fernsehempfang, Erfahrungsberichte mit und Situationsberichte aus den Fernsehstuben |
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1957/59 Etablierung der Abteilung Wirkungsforschung beim Stellvertreter des Intendanten für Perspektive, Prognostik, Analyse und Forschung. Zu deren Aufgabengebiet gehörte u.a. ein Programmspiegel DFF, die Auswertung der Zuschauerpost, die Auswertung von Stellungnahmen von Interessentenkreisen, Wirkung von Sendungen, Untersuchungsreihe zur Programmgestaltung. Die ebenfalls dort angesiedelte Abt. Außenverbindung arbeitete mit den sog. Fernsehkorrespondenten zusammen und führte Befragungen mit Zirkelteilnehmern zu einzelnen Programmsparten durch (z.B. Fragen zur Sendezeit Abend- und Spätarbeiterprogramm, Sonntagnachmittagsprogramm, Frauensendungen etc.) |
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seit 1964 Einrichtung des Sektor Zuschauerforschung innerhalb des bei der Programm- und Sendeleitung angesiedelten „Methodischen Kabinetts“ des DFF mit Untersuchungen zur Wirksamkeit des Programms.
Den Anstoß dafür gab wohl ein Besuch des Ministerpräsidenten Willi Stoph im DFF, der bei dieser Gelegenheit Informationen über die Zusammensetzung und die Reaktionen der Fernsehteilnehmer haben wollte. Stoph zeigte sich verwundert, dass es darüber keine verlässlichen Kenntnisse gab und man keine entsprechende Forschung betrieb. Eine Missbilligung, die einem politischen Auftrag gleichkam.
Im Zeitraum von 1964 bis 1967 wurden insgesamt sieben Umfragen durchgeführt, davon waren die ersten beiden repräsentativ für je einen Stadt- und Landkreis (Leuna-Merseburg und Rostock), die folgenden für die gesamte DDR.
Die Übermittlung des laufend gewonnen Materials an alle Intendanzmitglieder fand in Form der innerbetrieblichen Schriftenreihe „Der Fernsehzuschauer“ statt, mit einer Erscheinungsfolge von 1-2 Exemplaren im Quartal (1964-1970).
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1969 entstand die Abteilung Zuschauerforschung, die weiterhin dem Programmdirektor unterstellt blieb, das Methodische Kabinett ging in der Betriebsakademie auf. |
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1974 wurde unter neuer Leitung die Abteilung Analyse und Information gebildet. Die Aufgabe dieser Abteilung bestand darin, die Ergebnisse der Zuschauerforschung mit den anderen Quellen der gesellschaftlichen Resonanz zu verbinden und für die Leitungsarbeit aufzubereiten. Innerhalb der Abt. Analyse und Information bildete sich 1975 die AG Zuschauerforschung. Diese AG durfte nach außen nicht genannt und in Erscheinung treten. Interpretation und Weitergabe der Umfrageergebnisse für die Fernsehleitung (Wochen- und Monatsberichte, längerfristige oder thematisch orientierte Analysen) oblagen der AG Programmanalyse, autorisiert durch den/die Abteilungsleiter/in und den Programmdirektor. |
Nach der politischen Wende wurde die Abt. Analyse und Information in Abteilung Zuschauerforschung umbenannt, den Mitarbeitern selbst jedoch Ende 1990 gekündigt.
Von GESIS – Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V. wurde unter dem Titel „Fernsehen in der DDR“ eine CD-ROM mit Daten und Dokumenten der soziologischen Zuschauerforschung für das Jahr 1984 zusammengestellt. Diese CD-ROM enthält exemplarisch für den Gesamtbestand die wöchentlichen Sofortresonanzen aus dem Jahr 1984 in aufbereiteter und dokumentierter Form.
In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rundfunkarchiv konnte GESIS aus den auf Magnetbändern vorliegenden Urdaten insgesamt 466 Studien aus den Jahren 1982-1990 sichern. Die Studien aus den Jahren 1982, 1983 und 1985-1990 werden sukzessive aufbereitet. Die Datensätze werden mit Hilfe des ZA CodebookExplorers in Studien- und Variablenlisten dargestellt. Zusätzlich sind die Frageb�gen und Studienbeschreibungen mit darin eingebunden.
Zentrale Aufgabe der GESIS ist die Unterstützung der sozialwissenschaftlichen Forschung. Zu den Dienstleistungen der GESIS gehören der Aufbau und das Angebot von Datenbanken mit Informationen zu sozialwissenschaftlicher Literatur und zu Forschungsaktivitäten sowie die Archivierung und Bereitstellung von Umfragedaten aus der Sozialforschung. Wichtige Funktionen sind auch die Beratung in Methodenfragen, die Entwicklung komplexer Methoden der empirischen Sozialforschung sowie die eigenständige Dauerbeobachtung der gesellschaftlichen Entwicklungen mit Hilfe dieser Instrumente.